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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 20.01.2003
Aktenzeichen: 1 Ws 391/02
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 33 a
StPO § 310 Abs. 2
StPO § 453 Abs.1 Satz 3
StGB § 56 f Abs. 1 Nr. 1
StGB § 56 f Abs. 1 Nr. 2
1. Der verfassungsrechtlich garantierte Grundsatz auf Gewährung rechtlichen Gehörs findet in der Vorschrift des § 453 Abs.1 Satz 3 StPO eine besondere Ausprägung, welche eine mündliche Anhörung d. Betroffenen vorsieht, wenn das Gericht über ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen Verstoßes gegen Auflagen und Weisungen zu entscheiden hat.

2. Ist die mündliche Anhörung d. Betroffenen zu Unrecht unterblieben, so kann der Verstoß im Wege der Gegenvorstellung auch dann in zulässiger Weise geltend gemacht werden, wenn die Entscheidung bereits in Rechtskraft erwachsen ist und durch die Heilung des Verstoßes eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde vermieden werden kann. In einem solchen Fall ist in entsprechender Anwendung des § 33 a StPO ein Nachverfahren durchzuführen.


1 Ws 391/02

OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE

Beschluss vom 20. Januar 2003

wegen Verstoß gegen das BtMG

hier: weitere Beschwerde gegen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung

Tenor:

Die Akten werden zur Nachholung rechtlichen Gehörs an das Landgericht K. zurückgegeben.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 12.09.2002 hat das Amtsgericht K. die der Beschwerdeführerin durch Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - K. vom 25.06.1998 wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten widerrufen, weil sie in der Bewährungszeit erneut straffällig geworden sei und die ihr auferlegte Geldauflage von DM 500 an eine gemeinnützige Einrichtung nicht erbracht habe. Mit ihrer hiergegen eingelegten Beschwerde hat sie vorgebracht, sie habe wegen Arbeiten an der Briefkastenanlage keine Ladung zum Anhörungstermin erhalten und diesen deshalb nicht wahrnehmen können; als alleinerziehende Mutter zweier Kinder, die auf die Unterstützung des Sozialamtes angewiesen sei, habe sie auch die Geldauflage bislang nicht erbringen können, weshalb sie um die Gewährung von Ratenzahlungen bitte. Mit Beschluss vom 5.11.2002 hat die Strafkammer die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 19.11.2002, welches sie als "Beschwerde" bezeichnet hat. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat die Eingabe als weitere Beschwerde angesehen und deren Verwerfung als unzulässig beantragt.

II.

Der Senat wertet den Rechtsbehelf als Gegenvorstellung gegen den Beschluss der Strafkammer und gibt die Akten an das Landgericht K. zur Nachholung rechtlichen Gehörs zurück.

1. Eine Deutung des Schreibens als weitere Beschwerde verwehrt sich, da ein derartiges Rechtsmittel vorliegend unzulässig wäre (§ 300 StPO). Diese ist nämlich dann nicht statthaft, wenn die Entscheidung der Strafkammer bereits auf eine Beschwerde hin ergangen ist (§ 310 Abs. 2 StPO) und diese - wie hier - nicht den Bestand eines Haft - oder Unterbringungsbefehl betrifft (§ 310 Abs. 1 StPO). Der Beschluss des Landgerichts ist daher rechtskräftig. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat daher verwehrt, selbst wenn ein Verstoß gegen Verfassungsrecht geltend gemacht wird oder eine "greifbare Gesetzeswidrigkeit" der Entscheidung vorliegt (BGHSt 45, 37 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl. 2001, § 310 Rn. 1).

2. Allerdings ist auch im Straf- und Strafvollstreckungsverfahren eine Durchbrechung der Rechtskraft in Ausnahmefällen zulässig und geboten. So ist ein Gericht zur Abänderung seiner an sich nicht mehr anfechtbaren eigenen Entscheidung befugt, wenn es Tatsachen und Beweisergebnisse zum Nachteil eines Beteiligten verwertet hat, zu denen dieser noch nicht gehört worden ist (§§ 33 a, 311 a StPO; ähnlich § 311 Abs. 3 StPO). Über diese ausdrücklich geregelten Fälle hinaus ist eine erneute Prüfung aber auch dann veranlasst, wenn der Beschwerdeführer einen schwerwiegenden Verfahrensfehler, wie etwa die Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) beanstandet, eine Grundrechtsverletzung in Betracht kommt und durch die Heilung des Verstoßes eine Verfassungsbeschwerde vermieden werden kann (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2002, 45; Senat, Beschluss vom 12.12.2002, 1 Ws 361/02; OLG Stuttgart Die Justiz 1996, 147; KK-Ruß, StPO, 4. Aufl. 1999, Vor § 296 Rn. 4 a.E.). Zur Geltendmachung dieses Rechtes steht dem Beschwerdeführer der nicht form - und fristgebundene Rechtsbehelf der Gegenvorstellung zu, der als Ausfluss des Petitionsrechts (Art. 17 GG) dem Bürger die Möglichkeit eröffnet, auch gerichtliche Entscheidungen auf ihre Richtigkeit hin überprüfen zu lassen, wenn und soweit eine Abänderung rechtlich noch möglich ist (vgl. näher OLG Karlsruhe a.a.O.; Meyer-Goßner, a.a.O; Vor § 296 Rn. 23.).

3. Die Gegenvorstellung der Beschwerdeführerin ist zulässig, denn das Landgericht hat den ihr verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.

a. Dieser findet in § 453 Abs. 1 Satz 3 StPO eine besondere Ausprägung, der eine mündliche Anhörung der Betroffenen vorsieht, wenn das Gericht über einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen Verstoßes gegen Auflagen und Weisungen zu entscheiden hat. Diese Sollvorschrift ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats dahin zu verstehen, dass eine solche persönliche Anhörung des Betroffenen immer dann erforderlich ist, wenn eine weitere Aufklärung des Sachverhalts möglich erscheint und keine zwingenden Gründe entgegenstehen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O, § 453 Rn. 7 m.w.N.). Gerade bei Weisungs- und Auflagenverstößen ist eine mündliche Anhörung besonders wichtig, weil ein großer Teil der Verurteilten nicht willens und oftmals auch nicht in der Lage sind, sich in einem schriftlichen Verfahren adäquat zu äußern (BT-Drs. 10/2720 Seite 14; KK-Fischer, a.a.O., § 453 Rn. 3), so dass nur die mündliche Anhörung ein verlässliches Bild über die Lebens- und Einkommenssituation liefern kann. Das Gericht ist daher grundsätzlich gehalten, den Sachverhalt in einer mündlichen Verhandlung aufzuklären und sich einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen zu verschaffen (OLG Karlsruhe Die Justiz 2002, 135 ff.).

b. Eine solche Gelegenheit hat die Verurteilte aber nicht erhalten.

Zwar hat das Amtsgericht einen Anhörungstermin bestimmt, die gebotene Zustellung der Ladung jedoch nicht verfügt (OLG Hamm Strafo 2001, 287 f.), so dass die Einlassung der Beschwerdeführerin, sie habe diese nicht erhalten, nicht zu wiederlegen ist. Es liegt auch kein Fall vor, in welchem ausnahmsweise von der mündlichen Anhörung abgesehen werden kann, weil der Auflagenverstoß neben neuen Straftaten nicht ins Gewicht fällt (OLG Düsseldorf VRS 80, 284 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 13,02,1987, 2 Ws 81/87). Sowohl das Amtsgericht als auch die Strafkammer haben den Widerruf nämlich ausdrücklich auch auf die Nichterfüllung der auferlegten Geldbuße gestützt und damit zum Ausdruck gebracht, dass diesem Gesichtspunkt Bedeutung zukam. Die damit vorgenommene Gesamtbetrachtung beider Widerrufsgründe ist nicht zu beanstanden. Zwar musste die Verurteilte am 18. Juli 2002 vom Amtsgericht K. erneut zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt werden, wegen der von ihr begonnenen Methadonsubstitution ist der dortige Tatrichter jedoch gleichwohl zu einer positiven Prognose gelangt und hat diese Strafe erneut zur Bewährung ausgesetzt. In solchen Fällen ist der Widerruf einer Bewährung wegen einer neuen Straftat aber nur in Ausnahmefällen möglich (BVerfG NStZ 1985, 357 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.03.1999 - 3 Ws 51/99 -), etwa wenn der Begründung der Strafaussetzung jede Überzeugungskraft fehlt oder seit der neuerlichen Verurteilung erneut Änderungen in den Lebensverhältnissen eingetreten sind (Tröndle/Fischer, StGB, 51. Auflage 2003, § 56 f Rn. 8a). Schon aus diesem Grund war vorliegend eine umfängliche Prüfung des Bewährungsverhaltens der Beschwerdeführerin und des Erfolgs ihrer Therapiebemühungen geboten.

Die danach veranlasste mündliche Anhörung ist auch im Beschwerdeverfahren nicht nachgeholt worden (Meyer-Goßner, a.a.O., § 309 Rn.7), obwohl die Möglichkeit hierzu bestand und die Verurteilte durch ihre Ausführungen in der Beschwerdeschrift deutlich gemacht hat, dass sie auf eine solche Wert legt und hierauf nicht verzichten will.

Der Senat kann vorliegend auch nicht ausschließen, dass die Strafkammer zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, wenn sie sich einen persönlichen Eindruck von der Betroffenen und deren finanziellen Lebensumständen verschafft hätte, zumal diese um Begleichung ihrer Zahlungsrückstände bemüht ist und zwischenzeitlich einen Teil der noch ausstehenden Geldbuße an eine gemeinnützige Einrichtung beglichen hat.

4. Der Senat hat die Sache daher zur weiteren Behandlung der zulässigen Gegenvorstellung an die Strafkammer zurückgegeben. Diese wird in entsprechender Anwendung des § 33 a StPO ein Nachverfahren durchzuführen und der Beschwerdeführerin Gelegenheit zur mündlichen Anhörung zu gewähren haben.

Ende der Entscheidung

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